Monday, July 2, 2007

Sie trägt alles

Die Neue Zürcher Zeitung (30. Juni) über die neue Zürcher Bibel und die Kulturgeschichte früherer Bibelübersetzungen:

Sie [die Zürcher Bibel] markierte schon bei ihrem ersten Erscheinen 1531 einen Einschnitt, indem sie sich - unaufgeregter und sprachlich weniger ambitioniert als die Bibelübersetzung Luthers - als Gemeinschaftsarbeit von hochmotivierten, im Hebräischen und Griechischen versierten Theologen präsentierte. Seit einigen Tagen liegt die Zürcher Bibel in einer neu erarbeiteten Übersetzung vor, die jene von 1931 ersetzt. Sie ist noch untadeliger geworden, als sie schon war; ihr Deutsch, genau auf der Spur des hebräischen und griechischen Urtextes, ist wunderbar klar.
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Die deutschsprachigen Kulturen stellten im Rahmen der Übersetzungsgeschichte der Bibel einen Sonderfall dar. Auch in karolingischer Zeit, da die Missionierung der germanischen Stämme sich der Volkssprache zu bedienen begann, galt die deutsche (sprich: fränkische) Sprache als ungehobelt, grobschlächtig und feinerer Ausdrucksnuancen unfähig. Dass sie das Monopol der drei «heiligen» Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein durchbrechen und selbst Trägerin der Heilsbotschaft werden könnte, schien undenkbar.

Einem anonymen Autor des 9. Jahrhunderts allerdings gelang es, das Undenkbare zu denken. In einem wichtigen Text - «De vocatione gentium» («Über die Berufung aller Völker») - hielt er fest, dass Gott nicht nur wegen der Sünden der Menschen Mensch geworden sei, sondern auch, um deren «erbärmliche Sprache» («propter lamentabilem vocem humanam») - in diesem Fall das Deutsche - zu retten: «Denn Gott liess sich um des Menschen und seiner erbärmlichen Sprache willen barmherzig herab, als er vom Himmel zur Erde kam, um menschliche Gestalt anzunehmen, Leiden zu ertragen und den Tod zu dulden.» - Damit war die deutsche Sprache legitimiert, im Interesse einer alle Völker umfassenden Mission, die Heilsbotschaft zu verkünden.
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Die Inständigkeit der Texte jedenfalls hat die Jahrhunderte überdauert. Man höre das Hohelied der Liebe nach 1. Kor. 13, 4-6 in der Fassung, wie sie im schon zitierten Text «De vocatione gentium» aus dem 9. Jahrhundert eindrücklich erklingt: «Gotes minni dultic ist, / Frumasam ist, / Nist apultic, / Ni zaplait sih, / Ni habet achust, / Nist ghiri, / Ni sohhit, daz ira ist, / Ni bismerot, / Ni denchit ubiles, / Ni frauuuit sih ubar unreht, / Frauuuit sih ubar uuarnissu. / Dultic ist gauuisso diu gotes minni, huuanta siu ira uuidarmuoti ebano gatregit.»

In der neuen Übersetzung der Zürcher Bibel 2007 heisst das: «Die Liebe hat den langen Atem, gütig ist die Liebe, sie eifert nicht. Die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf, sie ist nicht taktlos, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht zum Zorn reizen, sie rechnet das Böse nicht an, sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich mit an der Wahrheit. Sie trägt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.»

Quelle:

http://www.nzz.ch/2007/06/30/li/articleFAPYA.html