Monday, May 21, 2007

Deutsches entdeutscht

Schweizer Publizist Roger de Weck schreibt im Spiegel:

Wer Deutschland lobt, der stört. Nur den Ausländern ist es zur Not
gestattet, die Bundesrepublik zu bewundern, ihnen wird diese
Charakterschwäche verziehen. Ein Franzose, der keine Komplimente
macht, ist kein Franzose. Wohingegen der Deutsche, der ein Kompliment
wagt, bereits als Schleimer gilt. So nehme ich mir die Freiheit des
Fremden heraus, Gutes zu sagen. Und dass ich mehr Gallier als Germane
bin, nämlich Französischschweizer, mag als mildernder Umstand
durchgehen.
...
Ist es ein Kompliment zu sagen, dass Deutschland davon profitiert,
weniger deutsch zu sein? Der sprachkundige, mobile Teil des
Nachwuchses studiert gern im Ausland und erschließt mit Rucksack oder
Businesstrolley fremde Welten. In Musik, Literatur und Film vermengt
sich Hiesiges und Fremdes. Die hybride Kultur zählt zu den saftigen
Früchten der Globalisierung, sie hat den Schwung des Regisseurs Fatih
Akin ("Gegen die Wand") oder des Autoren Feridun Zaimoglu ("Zwölf
Gramm Glück"). Parallelgesellschaft hin, Rütli-Schule her - die
Zuwanderer haben ihre Wahlheimat mehr entkrampft als verkrampft.
Befreiend ist das neue Verständnis von Staatsbürgerschaft, der
überfällige Abschied vom germanischen Blutrecht der Abstammung: eine
stille Revolution an der Jahrtausendwende. Überall wirkt ein
zwangloser Patriotismus, der allzu Deutsches entdeutscht.

Aus der europaweit grassierenden Fremdenfeindlichkeit erwächst in der
Bundesrepublik - anders als in meiner Schweizer Heimat - keine
Volkspartei mit einem Wähleranteil von 27 Prozent. In sieben von neun
Nachbarstaaten Deutschlands haben Rechtspopulisten die Politik
verrohen lassen. Glücklich das Land, dem es erspart bleibt, in
jahrelanger Mühe Jean-Marie Le Pen und Jörg Haider abzuhalftern,
Christoph Blocher und Pia Kjærsgaard im Zaum zu halten. Und was in
Deutschland die Neonazis treiben, ist eine widerliche Marginalie,
mehr nicht.

Der Spiegel, 20. Mai 2007
http://tinyurl.com/2fr6qm